Und mit mir

Ohne tiefer in das Thema einzusteigen, ist glaube ich auf den ersten Blick klar, beide Themen brauchen den menschlichen Körper. Für mich sind beide lohnenswerte Bereiche, in die ich gern immer wieder einsteige oder auch nie so wirklich aussteige. Zum Einen, weil Tanzen meine persönliche Leidenschaft ist, ich dabei aber definitiv kein Profi bin, dafür leidenschaftliche ins Bewegungsgetümmel eintauchende Pole Dancerin. Zum Anderen ist das inhaltliche Konglomerat um die Sexualität eine meiner Professionen, mit der ich mich beratend auseinandersetzeSchließlich darf ich mich nach 4 Jahren Studium Sexologin (M.A.) nennen und sprechen über Sex sei nun mein Beruf.

Zurück zum Thema!

In einem Artikel im Pole Art Magazine habe ich schon einmal darüber geschrieben, warum es sich lohnt stärker auf die Verbindung von Tanz und Sexualität zu schauen. Also hier gern auch noch mal nachlesen.[1]

Rhythmische Bewegungen erfüllen wichtige Aufgaben: machen Spaß, können Regen bringen, Götter beschwören, Gemeinschaft stärken und potentielle Partner:innen beeindrucken. Schauen wir uns die messbaren Wirkungen vom Tanzen an, denn tatsächlich kann das so einiges. 

Betrachten wir das Tanzen losgelöst von allen Konventionen, dann ist es erst einmal ganz einfach aneinandergereihte Bewegung des Körpers. Positionen werden miteinander verbunden, wir kommen von einer Figur in die nächste. Steigen wir etwas tiefer ein, dann ist es eine Inspiration, eine Idee, ein Verlangen, das wir in Bewegung realisieren. Also das bedeutet, wenn du tanzt, dann bewegst du nicht nur deinen Körper detaillierter, sondern du bewegst auch dein Wissen, deine Erfahrungen und deine Kultur. 

Paul Geraedts[2] meint Tanzen solle als eine Art universelles Therapeutikum verstanden werden. Das ist ein guter Ansatz. Ich verstehe Bewegung als etwas Basales und wie ich finde ziemlich Förderliches. Dazu werfen wir am besten einen Blick in die Primärprävention. Diese beschreibt z.B., dass regelmäßiges Bewegungstraining, dazu zählt auch tanzen, sich positiv auf Organe und Gewebestrukturen auswirkt. Wir sollten alle dem Grundsatz des Anatom Prof. Dr. Richard Zander folgen und körperliche Bewegung zu einer geliebten Gewohnheit werden lassen und Teil unserer Erholungszeit. 

Widmen wir uns damit noch etwas mehr dem Tanz und seinem Kompetenzprofil. Es folgt nun ein Griff in die wissenschaftliche Recherche für meine Masterarbeit.

Für eine gesunde Lebensführung ist körperliche Aktivität ein Bestandteil und Studien beweisen, dass Bewegung das Risiko von Krankheiten und depressiven Symptomen reduziert und die Lebensqualität erhöht. Tanzen erweitert körperliche Fertigkeiten und ist geprägt von Selbstbewusstsein, Intention und Ästhetik.[3] Die Zellforschung schlussfolgert Tanz verändert die Gehirnstruktur. Die gesteigerte Hirndurchblutung führt zur Neuronen(neu)bildung. Tanzen wirkt sich positiv auf die Herzfrequenz und den Blutkreislauf aus sowie auf die kortikale und nervliche Erregung.[4] Bei Körperbewegungen, die Dehnung und Varianzen enthalten, wird die Produktion von Theta Gehirnwellen angeregt. Sie tragen dazu bei, dass sich der Organismus körperlich und geistig regeneriert. Damit wird auch ein Zugang zu unbewusstem kognitivem Material und dem kreativen Potenzial eines Individuums ermöglicht.

Tanzen ist ein Medium der Kontaktaufnahme und stimuliert die zwischenmenschliche Kommunikation. Vorallem das gemeinsame Erarbeiten von Bewegungen unterstützt das Gefühl der Zugehörigkeit. Paar- und Kreistänze bewirken das Entstehen eines Gemeinschaftsgefühls und des Vertrauens in sich selbst und in die Gruppe. Man bekommt das Gefühl eine gemeinsame Aufgabe erfüllt zu haben. Dr. Cynthia Quiroga Murcia hat in ihrer Studie mit Amateurtänzer:innen herausgefunden, dass der emotionale Nutzen des Tanzens von größerer Bedeutung ist als z. B. der körperliche.

Und nicht zu vergessen die Aufnahme und auch die Umsetzung von Rhythmus im Tanz sorgt für Entspannung. Tanzen schließt damit Musikstimulation mit ein, körperliche Betätigung sowie soziale Interaktion und das alles wirkt sich positiv auf unsere Gesundheit aus. Ich glaube nun sollten wir alle Tanzen.

Aber was hat Tanzen mit Sexualität zu tun?

Es ist die angedeutete Vereinigung. Klingt pathetisch, aber erinnert euch doch mal an euren letzten Tanz mit einer anderen oder auch mehreren Personen – an die Sprache zwischen euren Körpern, das gemeinsame Schwitzen, dem Bewegen im Takt bis hin zum spürbaren Beat der im Körper nachhallt, man/frau riecht und berührt sich. Wenn ich da so hinein schwelge, denke ich an Freude, Erwartung, Ekstase oder auch Entspannung. 

Oberzaucher und Grammer[5] gehen sogar soweit zu behaupten, dass Tanzen einen evolutionären Bezug habe und es ein wichtiger, sexueller Indikator für die Partner:innenwahl sei. Kurz zusammengefasst: tanzen wir wie wild, dann muss sich das zumindest lohnen und sich positiv auswirken. Tanzen könne ein aufwendiges Balzverhalten beschreiben und sich förderlich auf unseren Fortpflanzungs- und Überlebenserfolg auswirken. 

Wenn es einen Zusammenhang zwischen Tanz und Sex gibt, dann darf ein Tanz in diesem Kontext nicht fehlen und zwar der als verrucht geltende Tango Argentino. Auf den argentinischen Tanz hat die Welt der Wissenschaft intensiver geschaut und damit hat der Tango Argentino einen ausgeprägten Forschungshintergrund. Das körpernahe und der Improvisation folgende Tanzen erzeugt Einfühlungsvermögen und Intimität, was die Konzentration und den Tanzfluss steigert. Körpersignale sind der Sensor für die gemeinsame Bewegung. Halten wir hier kurz inne und ich schlage vor, wir nehmen uns Zeit diesen letzten Satz an eine Hauswand zu schreiben. Als einen Richtwert für unsere Sexualität und einen Appell an die Wahrnehmung unserer körperlichen Signale, die nur allzu gern unterdrückt, weggeschoben und übergangen werden. 

Und nun weiter im Thema.

Tango tanzende Personen produzieren deutlich mehr Sexualhormone und bauen gleichzeitig Stresshormone ab. Die Ausschüttung von Testosteron geht mit der tänzerischen Körpernähe und dem gemeinsamen Bewegen einher.

Tanzen kann so ziemlich alles sein und die Forschung hat sich auch noch andere Stilrichtungen angeschaut und festgestellt, dass z.B. Straßen- und moderne Tänzer:innen ein positiveres Körperbild haben, als exotische Tänzer:innen. Selbstobjektivierung und ein schlechteres Selbstwertgefühl seien hier das Problem.[6]

Wenn wir über Tanz sprechen, sollten wir auch das aktivierende Beiwerk des Tanzes nicht vergessen und zwar die Musik. Ich lasse mich gern vom Flow der Musik ablenken, auch wenn diskutiert wird, dass sich ohne Musik körperliche Bewegung besser lernt. Für mich fühlt sich das bedingt “kontra-intuitiv” an. Musik ist erogene Substanz. Sie leistet durch auslösende Hochgefühle, ähnlich der Sexualität, ihren Beitrag. Musikalisch ausgelöste, erotische Empfindungen wollen erlebt werden und das geht am besten durch den Tanz. Musik beeinflusst unseren emotionalen Zustand und unsere vegetativen Reaktionen. Die rhythmischen Impulse werden als intensive Erfahrungen mit dem Körper wahrgenommen und lassen dabei eine Übertragung auf die Sexualität zu, besonders in Bezug auf Sinnlichkeit, Körperbezogenheit und Berührung.[7]

Spätestens jetzt solltet ihr ernsthaft darüber nachdenken euch eine individuelle “Sex-Playlist” bei Streaming Portal eurer Wahl anzulegen. Für so manche Person in meinem Umkreis unverzichtbare 45 minütige Notwendigkeit.

Tanz und bewegungsgestützte Beratung können zur Entwicklung einer „wachsenden Sexualität“ beitragen. Nicht abstreiten lässt sich, dass das Studium der Sexologie meine Ansicht diesbezüglich beträchtlich gestärkt hat. Eine Grundlage des Studiums war der Ansatz Sexocorporel nach Desjardin. Sexocorporel geht von einer Verbindung zwischen Körper und Hirn aus, als fundamentale Einheit. Der Körper als Spiegel unserer Gedanken und Interventionsplattform. Also verändern wir etwas auf der Ebene des Körpers, dann hat das Einfluss auf den gesamten Menschen und umgekehrt. So können Glaubenssätze, Gebote, erworbene Idealisierungen unbewusst Einfluss nehmen, wie wir in unserem Körper wohnen. Im Ansatz Sexocorporel ist die Rede von den Gesetzen des Körpers. Will ich bewusst Einfluss nehmen auf willkürliche körperliche Abläufe, kann dies über die Gesetze des Körpers funktionieren.

  • Die Bewegung im Raum
  • Die Spannung des Körpers
  • Der Rhythmus der Bewegung
  • Das Atembewusstsein

Das bedeutet, verändere ich Muskelspannung, Rhythmus und Atmung dann kann ich sexuelle Erregung im Körper verteilen, intensivieren, kanalisieren und/oder verändern. Es ist ein erlernbarer und gestaltbarer Vorgang.

Sexualität ist eine der intensivsten leiblichen Erfahrungswelten und korpuliert mit unserem sozialen Körperwissen. Was wir gelernt haben, ist dass Tanz einen evolutionären Bezug hat und rhythmisch gebundene Bewegung Gefühle wie Erotik und Zuneigung erzeugen kann. Damit lässt sich schlussfolgern Bewegung hat die Kompetenz für ein größeres Genusserleben beim Sex zu sorgen und sexuelle Selbstsicherheit zu unterstützen.

Halten wir noch einmal grundsätzlich fest?

In eine Tanzlocation unserer Wahl zu düsen und dort wild rumzappeln, hat mit Sicherheit seine Effekte und kann sich positiv auf unser Wohlbefinden auswirken. Bei mir tut es das zumindest. Als Sexologin verbinde ich damit aber keine nachhaltige Veränderung im sexuellen Bewusstsein. Sich zu Bewegen und/oder zu Tanzen bedeutet wir zeigen uns der Außenwelt mit unseren inneren Erfahrungen. Wir kehren also unsere Innenwelt nach außen und wir werden damit gesehen. 

Ich verstehe Tanzen als einen Dialog mit meinen Muskeln und bei jedem Plausch entwerfe ich emotionale Bahnen in meinem Körper. Damit es Resonanzen gibt, muss ich beginnen mich zu bewegen und Bewegungen zu verstehen, zu separieren und im Körper zu spüren. Wiederholung von Bewegungen und eine Aneinanderreihung von körperlichen Variablen wirkt sich zugunsten der eigenen Körperwahrnehmung aus und hat eine langwirkende Resonanz im Gehirn und das alles zum Vorteil der körperlichen Wahrnehmungen. Kurz gesagt, wir verbinden den Körper mit dem Gehirn, wenn wir uns bewegen, berühren und uns körperlich benutzen. So wie wir das mit unseren Händen und Füßen tun. Erhalte ich also ein Bewusstsein oder auch erst einmal eine Idee über meine tänzerische Bewegungskompetenz erweitert dies die körperlichen Fertigkeiten und prägt Selbstbewusstsein, Attraktivität und Ästhetikempfinden in Bezug auf die eigenen Ausführungen. Das Tanzen befähigt zu einem deutlichen Spannungsabbau, ein Wahrnehmen von Spannungen und ich lerne sie zu unterscheiden in ihrer Wirkungsweise auf mich. Es wird ein Gefühl verankert, kompetent und kraftvoll zu sein und etwas Unerwartetes durch Bewegung zu erreichen. Und das kann Auswirkungen auf unser Genussempfinden haben und die Verteilung von Erregung in unserem Körper.

In meiner Masterarbeit habe ich dazu geforscht. Ich wollte herausfinden welchen Einfluss das choreografierte Tanzen auf die weibliche sexuelle Selbstsicherheit hat. Und um weit vorzugreifen, es hat einen Einfluss und zwar einen Beeindruckenden. Wichtig dabei zu wissen, es ging nicht um eine perfekt ausgeführte Choreografie und Improvisationsspielräume zum individuellen Üben waren enorm wichtig. Es ging darum eine Idee von Bewegung zu bekommen und darüber eine eigene Kompetenz in diesem Meer der Bewegungsvarianten zu erlangen. 

Und falls ihr euch jetzt fragt, ob ich mit meinem Gegenüber in einer sexologischen Beratung durch meine Räumlichkeiten tanze.

Die Vorstellung wäre zwar durchaus amüsant, aber “nein” man lernt bei mir keine “Sexchoreografie” oder übt sich in tänzerischem Ausdruck oder Ähnlichem. Ich bin einfach überzeugt von der Notwendigkeit den eigenen Körper zu bewegen. Es könnte eher so beschrieben werden, dass es um ein bewusstes Erforschen des individuellen Bewegungsrepertoire meines Gegenübers geht. Dazu zähle ich auch die innere Bewegung über den Atem. Ziel einer Beratung kann es sein körperliche Veränderungen anzustupsen, um dann in den heimischen vier Wänden sexuelles Potenzial voll auszuschöpfen. Das ist alles vom Beratungsziel abhängig. Individuell angepasste Körperübungen, wie Bewegungsabläufe, Atemroutinen und Wahrnehmungsübungen können damit Teil der Beratung sein, müssen es aber natürlich nicht.

Auch wenn wir mit Sicherheit nicht alles wegatmen oder über unseren Körper regeln können, ist Tanzen für mich Leben und ich glaube an den Körper. Warum ich das tue, weil unser Körper nur allzu schwer zu übergehen oder zu übersehen ist. Wir müssen hinsehen, sonst verpassen wir noch was, von diesem wunderbaren organellen Zusammenspiel. Und mit Bewegung und noch viel schöner (für mich zumindest) mit tänzerischer Bewegung kann ich darauf Einfluss nehmen ohne, dass ich eine bestimmte Sprache beherrschen muss. 

Ich finde das hört sich erstrebenswert an und schließe mit den epischen Worten von Pina Bausch ab “Tanz, tanz sonst sind wir verloren”.


[1] https://poleart.shop/pole-art-magazine/pole-art-magazine-nr.-24

[2]Geraedts, Paul (2019): Die Geschichte der Physiotherapie. Von der antiken Heilgymnastik zum modernen Gesundheitsberuf. Springer Fachmedien.

[3] Quiroga Murcia, Cynthia (2010): „Tanzen: Subjektive und psychobiologische Wirkungen“. Frankfurt am Main: Goethe-Universität.

[4] Brinkmann, Stephan (2013): Bewegung erinnern. Gedächtnisformen im Tanz. Bielefeld: Transcript Verlag.

[5] Oberzaucher und Grammer in Tschacher, Wolfgang; Bergomi, Claudia (2011): The Implications of Embodiment: Cognition and Communication. UK: Imprint Academic. 

[6] Downs in Pellizzer, Mia; Tiggemann, Marika; Clark, Levina (2016): „Enjoyment of Sexualisa- tion and Positive Body Image in Recreational Pole Dancers and University Students“. In: Sex Roles. 74 (1–2), S. 35–45, doi: 10.1007/s11199-015- 0562-1.

[7] Kreutz, Gunter (1997): „Musikrezeption zwischen Liebestraum und Love Parade“. In: Medienpsychologie. Zeitschrift für Individual- und Massenkommunikation. 4.